Saturday, March 19, 2005

Ich lebe in einer perversen Gesellschaft.

Heute Abend werde ich ca. 50 EUR für die Eintrittskarte zum Ball of the Irish Society ausgeben, als Mittagessen habe ich mir ein Steak für 6 EUR gegönnt und anschließend bin ich in einer Photoausstellung der American Society gegangen, wo mir die Perversität meines hiesigen Lebens plastisch vorgeführt wurde.

Es war eine Ausstellung mit Bildern aus dem Norden Ugandas, dort wo jede Nacht tausende von Kindern Schutz vor den Mördern der Lord Resistance Army suchen. Dort, wo Menschen anderen Menschen die Lippen abhacken, wo Kinder für Mörderdiensten gekidnappt werden, wo Millionen Menschen nichts zum Essen und nur verschmutztes Wasser zum Trinken haben, dorthin will ich niemals hin müssen.

Und doch werde ich die Chance nutzen, ein Wochenende in Gulu zu verbringen, um wenigstens einen kleinen, unzensierten Einblick in das wahre Elend der Ugander zu erhalten. Ich weiß nicht, wie ich das verkraften werde. Als ich eben die Bilder und deren Unterschriften betrachtete, konnte ich die Tränen kaum unterdrücken und die Tränen liefen an meinen Wangen herunter, als ich auf dem Fahrrad nach Hause fuhr. Dieses Elend, diese Hilflosigkeit, diese Brutalität, die Unmenschlichkeit ist für mich schwer zu begreifen. Wieso muss das so sein? Warum dürfen/können die Menschen nicht friedlich miteinander leben?

Gestern traf ich eine junge Dame, die seit Jahren in verschiedenen Ländern Straßenkinderprojekte betreut. Sie erzählte mir, dass in Kenia hunderttausend Kinder auf der Straße lebten und dass sie diese versuchen, in dreimonatigen „Kursen“ wieder in ihre Familien – sofern diese noch leben – zu integrieren. Heute ist sie nach Gulu gefahren, um dort in einem Projekt zu arbeiten, dass sich um die Kinder, die jede Nacht Schutz in der Stadt suchen, kümmert. Ich war beeindruckt von der jungen Dame.

Und ich kämpfe gerade wieder gegen die Tränen und die Wut an, die in mir hinaufsteigt. Wie kann so was nur sein? Warum?

Warum werde ich nach ein paar Minuten lesen wieder diesen Horror vergessen und warum werde ich den heutigen Abend trotz meines jetzigen Unverständnis meines Handelns genießen? Warum verhalten sich Menschen so merkwürdig? Ist es alles nur Selbstschutz?

Ich weiß, dass ich das Elend der Welt nicht auf einmal beseitigen kann. Aber tue ich genug dafür? Ist mein Präsenz und mein Auftrag in diesem Land ausreichend? Erreiche ich wirklich etwas? Warum hinterfrage ich die Wirkung meiner Arbeit?

Und in Deutschland interessiert es keinen, welche schrecklichen Bilder ich eben sah, unter welchen Bedingungen die Menschen in diesem Teil der Erde täglich leben müssen. Sie spenden Millionen für die Tsunami-Opfer (deren Schicksal ich hiermit nicht klein reden will), aber welches Elend im Osten des Kongos, im Süden des Sudans, im Norden Ugandas usw. herrscht, interessiert wenn überhaupt nur wenige. Ich gebe zu, dass mir das auch so ging und ich gebe auch zu, dass ich für diese Region durch meinen derzeitigen Lebensmittelpunkt sensibilisiert bin.

Warum kann es sein, dass es einen Gott gibt, der so viel Elend zulässt? Die Theodizee, die mich seit langem beschäftigt...

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